Jahrelang hatte ich eine genaue Vorstellung davon, wie ich meine Traumfrau kennenlernen würde: Ich würde auf der Straße laufen und eines meiner Lieblingslieder unbewusst vor mich hinsummen. Sie würde mich überholen, das Lied erkennen und sagen: „Oh, das ist auch mein Lieblingslied!“ Wir würden uns in die Augen schauen und alles wäre klar.

Der Volksmund spricht bei dieser Vorstellung des Verliebens vereinfachend von „Gleich und Gleich gesellt sich gern“. Die Psychologen machen es komplizierter und nennen es „Similarity attraction“. Sie haben herausgefunden, dass sich die meisten Menschen bei der Partnerwahl, aber auch bei der Freundeswahl, Menschen aussuchen, die ähnliche politische Einstellungen, ähnliche soziale Vorlieben und ähnliche Vorstellungen vom Leben haben, wie sie selbst. Die Erklärung der Psychologen: Es gehe in Beziehungen schließlich um die Bestätigung des eigenen Selbsts. Und was würde mich mehr bestätigen als jemand, der genau dasselbe Lied kennt und gut findet wie ich! Doch so einfach ist das nicht. Es bleibt bei dieser Vorstellung ein wesentlicher Pol der Beziehung ausgeklammert: Die Differenz.

Die Differenz führt in der Beziehung dazu, dass das eigene Selbst eben nicht bestätigt wird, sondern auch in Frage gestellt wird: Was?! Sie mag mein Lieblingslied nicht und hat stattdessen ein völlig anderes Lieblingslied? Die Differenz ist immer schon da – es begegnen sich schließlich zwei Menschen, die – egal wie gleich sie nun wirken – doch unterschiedlich aufgewachsen sind und unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Die Vorstellung der anziehenden Ähnlichkeit blendet diese wichtige Beziehungskomponente leider völlig aus.

Das liegt vielleicht auch daran, dass die Differenz in der ersten Phase der Beziehung nur ein latentes Hintergrundrauschen bleibt. Die Verliebtheit überstrahlt zunächst alle Differenz, da sie ein absolutes Annehmen des Anderen zelebriert und die Gemeinsamkeiten und Ergänzungen überbetont. Man fühlt sich nicht durch kleine Differenzen in Frage gestellt, wenn der Andere das eigene Dasein ja in allen anderen Facetten feiert und annimmt. Daher wird die Differenz in der Verliebtheit oft noch nicht erkannt. Im Rausch der Nähe des Fremden und Neuen wird sie oft sogar zu etwas, was den anderen noch attraktiver macht – es ist die Faszination des Unbekannten.

Aber je mehr dieses Unbekannte im Alltag entdeckt und benannt wird, desto mehr wird die Differenz deutlich. Differenz heißt nun: Der Andere isst anders, trinkt anders, schläft anders, reagiert anders, fühlt anders, liebt anders, etc. Insbesondere für Männer ist dies oft ein Schock, da sie sich in der Verliebtheit idealistische Scheinbilder der Frau gemalt haben, die mit dem wirklichen Sein der Frau nichts zu tun haben. Diese Erfahrung wird nun nicht mehr abgefedert durch das Gefühl des absoluten Angenommenseins. Der Andere wird erstmals nüchtern wahrgenommen.

Es wäre schön, wenn es bei dieser Differenz nur um minimale, irrelevante Details ginge, wie: Sie isst gerne Broccoli, ich aber nicht. Es geht aber um Verhaltensweisen, die man immer abgelehnt hatte, um Sichtweisen, die man nie vertreten würde, um Gefühle, die man noch nie hatte. Und das führt zu dem entscheidenden Punkt: Die Differenz zum Anderen führt dazu, dass ich mich selbst besser erkennen kann. Im Blick des Anderen erkenne ich meine eigenen blinden Flecken: Das, was ich ablehne, bedeutet mir ja etwas – ich will es nicht sein und habe Angst davor, doch von außen so wahrgenommen zu werden und tief in meinem Inneren so zu sein. Auf diese Weise werde ich mit mir selbst konfrontiert und muss lernen, durch die Differenz zum Anderen zu mir selbst zu stehen.

Und als ob dies nicht schon schwierig genug wäre, wird dieser Prozess zu einer echten Gratwanderung, weil man sich gleichzeitig – angesichts der Differenz – selbst behaupten muss, ohne jedoch aus der Beziehung einseitig herauszutreten. Ich kann also nicht sagen: „OK, meine cholerischen Wutanfälle stören dich, aber so bin ich halt!“ Eine Überbetonung des „Ichs“ würde das „Wir“ aushöhlen.

Leider gibt es kaum vorgefertigte kulturelle Muster oder kulturelle Umgangsweisen mit der Differenz. Hollywood-Kino und Popsongs zelebrieren immer nur das Verliebtsein und die Ähnlichkeit: Eine Frau ziert sich und der Mann überzeugt sie durch seine Liebe. Ein Paar liebt sich unglaublich, aber es kann durch gesellschaftliche Umstände nicht zusammenkommen. Eine Beziehung scheitert, weil die Partner sich auseinandergelebt haben und einer jemand anderen kennengelernt hat.

All das ist auch wesentlich einfacher zu zeigen als das schwierige Austarieren zwischen „Ich“ und „Wir“. Dadurch fehlt jedoch das Bewusstsein dafür, dass der Umgang mit Differenz in Beziehungen ein entscheidender Punkt ist. In einer Gesellschaft, in der es zunehmend auch bei der Partnerwahl um Selbstoptimierung geht, in der viele Menschen – hinter ihrer selbstsicheren Fassade – verzweifelt nach Selbstbestätigung suchen und in der die bessere Partnerin oder der bessere Partner immer schon einen Klick weiter ist, kann diese Fehlstelle nur zu häufigen Trennungen und Bindungsunfähigkeit führen.

An dieser Stelle muss leider die Theorie auch mit der Praxis konfrontiert werden: Ebenso wie es aus der theoretischen Sicht des Kommunikationswissenschaftlers eigentlich extrem unwahrscheinlich ist, sich gegenseitig zu verstehen, so gibt es in dieser Gesellschaft doch erstaunlich viele Beziehungen, die genau diesen schwierigen Prozess überstanden haben. Es gibt dabei verschiedene Arten, mit der Erfahrung der Differenz des Anderen umzugehen:

Man kann die Differenz ausblenden, indem man nur auf sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse in der Beziehung achtet. Man kann die Differenz von sich wegschieben und sie abstrakt der Gruppe des Anderen zuordnen („Frauen sind halt so“). Man kann die Differenz bekämpfen und versuchen, sie einzuebnen, indem man den Anderen zwingt, sich zu ändern. Man kann aber auch versuchen, sich selbst anzupassen und zu ändern. Man kann die Differenz aushalten und versuchen, sie, wenn nicht als Bereicherung, so doch zumindest als Herausforderung zu verstehen. Man kann die Differenz relativieren, indem man sich das Schöne und Gemeinsame vor Augen führt. Man kann sich aber auch auf die Differenz fokussieren, sie überbetonen und die Beziehung damit letztendlich zum Scheitern bringen.

Beziehungen schwanken somit auf einer Skala zwischen Ähnlichkeit und Differenz. Sind sich die Partner zu ähnlich, können sie sich kaum weiterentwickeln, weil sie sich in der Beziehung gar nicht als eigenständige Personen wahrnehmen. Sind die Partner zu verschieden, verlieren sie sich entweder im endlosen Kampf um Selbstbehauptung oder durch den beidseitigen Rückzug ins eigene Selbst. Irgendwo zwischen diesen Polen sollte eigentlich die gute Beziehung zu finden sein.