Neulich habe ich mir einen Blumenstrauß gekauft. Der Strauß enthielt auch eine Hyazinthe – eine Blume mit einem wunderbaren Geruch. Ich habe sie in mein Wohnzimmer gestellt und der Duft war betörend und verzaubernd. Ich erfreute mich daran sehr – doch bald merkte ich auch, dass der Geruch immer dann weg war, wenn ich viel zu tun hatte. Erst wenn ich mich wieder entspannte, kam er langsam zurück – obwohl er doch die ganze Zeit dort gewesen war.

Besonders stark war der Duft dann noch, wenn ich nach Hause kam. Aber je länger ich zu Hause war, desto mehr gewöhnte ich mich daran und konnte den Geruch nicht mehr wahrnehmen.

Das könnte eine simple Geschichte über die Wahrnehmung eines Geruchs sein. Es ist aber eine Geschichte über Schönheit, Liebe und Offenheit und die Gefahr der Gewöhnung und Abnutzung. Alles Schöne, alles Ästhetische, alles, was man liebt, unterliegt diesen beiden Gefahren: Stress und Gewöhnung. Beides lässt die Sinne abstumpfen – Stress ist dabei wie eine temporäre, aber heilbare Blindheit und Gewöhnung wie ein langsames, unbemerktes Erblinden.

Die Verlockung unserer Gesellschaft ist auch, dass man sich immer wieder neue Sinneseindrücke beschaffen kann, wenn die alten abgenutzt sind. Um zunächst bei der Blume zu bleiben: Der Duft verfliegt – wie bei allem Neuen – langsam und die Blume verwelkt. Sie macht durch ihren natürlichen Verfall Platz für neue Schönheiten und Sinneseindrücke. Es wäre auch ungemein schwierig, sein ganzes Leben nur eine Blume zu lieben. Der Wandel der Dinge, an denen sich ein Mensch mit seinen Sinnen erfreut, ist daher auch natürlich.

In einer Gesellschaft, die auf die Produktion von Begehren ausgelegt ist, stellt sich aber die Frage: Wie lang ist die Lebensdauer der Dinge, an denen man Freude findet? Die Gefahr besteht, dass die Menschen ihre Begeisterungsfähigkeit in einem Stakkato des immer wieder Neuen langsam abnutzen. Das Problem liegt dabei in der Vorstellung, dass die Schönheit und die Begeisterung nur in den Dingen selbst liegt. Dabei ist es der eigene Blick, der die Schönheit erst entdeckt und sie mit erschafft. Ein solcher Blick erfordert einen Moment der Hinwendung und ernsthaften Aufmerksamkeit – dann kann man erstaunliche Schönheiten in den Dingen entdecken. Die meisten Kinder blicken auf diese Weise in die Welt – aber Erwachsene haben diesen Blick meist durch Stress und Gewöhnung verlernt und benötigen stattdessen immer neue Dinge, um ihn wiederzubeleben.

Der entdeckende Blick für die Schönheit und die Dinge, für die er sich begeistert, lässt sich nicht übertragen und oftmals nur schwer an Andere vermitteln. Es gibt eine individuelle, oftmals rationale Abstumpfungsschwelle, die erst einmal überwunden werden muss: Jeder hat schließlich schon einmal den Duft einer Blume gerochen – was soll nun an dieser Blume besonders sein! Dabei geht es beim Mitteilen meist gar nicht darum, das Wunderbare genauso zu sehen – es geht vielmehr darum, das Leuchten in den Augen des Anderen zu sehen und sich daran zu erfreuen. Dieses Missverständnis – und die damit oftmals verbundene Abwertung – führt dazu, dass viele Menschen dieses Mitteilen der eigenen Begeisterung verlernen. Und je weniger diese ausgedrückt werden kann, desto schwacher wird auch das Leuchten in den Augen. Und desto eher führen Stress und Gewöhnung zu einem endgültigen Erblinden gegenüber der Schönheit.