Woran erkennt man eigentlich guten Journalismus? Ganz einfach! Wenn es in einer Frage unterschiedliche Interessen gibt, werden diese auch als solche dargestellt: „Partei A will basierend auf Grund 1 und 2 dies, Partei B will basierend auf Grund 3 und 4 das.“

Leider gibt es in der Berichterstattung über die Politik einzelner Länder oft einen blinden Fleck, dummerweise genau dann, wenn es um das eigene Land geht. Denn, und das kann man fast nur staunend feststellen, ja, doch, das eigene Land hat auch Interessen! Und diese können, man möchte es fast nicht glauben, den Interessen anderer Länder zuwider laufen!

An dieser Stelle erkennt man nun auch den schlechten Journalismus. Zugrunde liegt diesem eine enorme Interpretationsleistung: (Vermutlich gibt es hier auch eine psychologische Vorinterpretationsleistung, die möglicherweise so klingt: „Ich lebe hier, hier geht es mir gut, dann müssen wir also die Guten sein.“) „Wenn wir die Guten sind, warum wollen die Anderen dann etwas Anderes als wir?“ Dann können die Anderen nur entweder böse (uns absichtlich schaden wollen) oder dumm sein (zu dumm, um zu erkennen, dass sie uns schaden)! Die Anderen brauchen dann natürlich noch Gesichter – ganze Völker kann man schlecht als böse oder dumm darstellen. Dafür gibt es glücklicherweise Staatsoberhäupter. Also sind beispielsweise Putin und Assad böse. Und Trump ist dumm.

Das Problem solcher Interpretationsleistungen ist nicht nur, dass sie die berechtigten Interessen anderer Länder ausblenden, sondern auch, dass sie eine stark prägende Wirkung auf alle weiteren medialen Erzählungen haben: Wenn beispielsweise der dumme Boris Johnson die Briten zur dummen Entscheidung verführt, aus der EU auszutreten, dann kann das nicht plötzlich – beispielsweise sechs Monate später – eine kluge Entscheidung gewesen sein. Wenn der böse Russe (also eigentlich auch nur Putin höchstpersönlich) den guten Amerikaner (also eigentlich auch nur den dummen weißen Unterschicht-Amerikaner) verführt, den dummen Trump zu wählen, dann kann der dumme Trump nicht plötzlich klug sprechen. Mit jeder dieser Interpretationen spinnen die Journalisten weiter an einer fortlaufenden Erzählung, aus der sie später nicht mehr ohne Gesichtsverlust aussteigen können.

Aber sie spinnen ja glücklicherweise auch nicht alleine an dieser Erzählung: Die wesentlichen Erzählfäden erhalten sie aus der Politik, die ganz froh ist, dass die Journalisten sich so schön unhinterfragt mit den Interessen ihres eigenen Landes identifizieren. Die Identifikation der Journalisten mit den Zielen ihrer nationalen Politiker ist so stark und blendet so extrem die berechtigen Interessen anderer Staaten aus, dass man fast von einem Nationaljournalismus sprechen kann. Mit dessen Hilfe lässt sich die eigene Politik beispielsweise in der EU oder gegenüber Russland viel einfacher durchsetzen.

Deshalb plädiere ich hier für einen kritischeren Journalismus: Nur, weil es sich nicht mit unseren Interessen deckt und wir es nicht sofort verstehen können, heißt es noch lange nicht, dass es nur irrational erklärbar ist und kein berechtigtes Interesse dahinter steckt. Und ich plädiere für kritische Leser: Immer wenn im Journalismus mit Formen der Irrationalität, also beispielsweise Bösartigkeit oder Dummheit, argumentiert wird, sollte man sehr skeptisch werden und sich fragen, welches deutsche Interesse steckt eigentlich hinter dieser Darstellung!

(Bild: http://en.kremlin.ru)