Mal etwas ganz banales. War aber trotzdem interessant zu entdecken. Vor einer Weile habe ich mal ein Seminar zu Suchtverhalten besucht. Der Dozent zeichnete dort einen eiförmigen Gefühlskörper, der die Gesamtheit der eigenen Gefühle symbolisieren sollte. Manchmal ist ein Teil dieser Gefühle allerdings unklar, verschließt sich einem selbst, man kann damit nicht umgehen, man hat es nicht gelernt. Als Beispiel: Ein Teenager wird in der Disko von dem Mädchen seiner Träume abgelehnt. Was macht er also? Er trinkt Alkohol. Das gibt ihm ein Grandiositäts-Gefühl, das Gefühl über allem zu stehen. Allerdings ersetzt es keineswegs die eigentlich notwendige Auseinandersetzung mit den real vorhandenen Gefühlen. Aber je häufiger er auf diese ungewohnten, unschönen Gefühle mit Trinken reagiert, desto weniger wird er jemals damit umgehen können, desto eher wird er – jedenfalls in extremen Situationen – abhängig von Alkohol. Die meisten Abhängigkeiten entstehen so.
Gestern habe ich nun das erste Mal gespürt, was Grandiosität bedeutet. Ich war emotional immer noch sehr aufgewühlt, bin aber zu einem Geburtstag gegangen. Um das alles ein bisschen zu vergessen und nicht die ganze Zeit griesgrämig dort zu sitzen, trank ich also eine ganze Menge. Und als ich nach einer Weile auf meine Probleme blickte, die ja nicht weg waren, sondern warteten, sah ich sie ganz anders. Ich hatte einen anderen Blickwinkel darauf gewonnen, die Perspektive hat sich zur Aussage “So schlimm ist das alles doch gar nicht.” verschoben. Alles was mir vorher so schwer war, war nun leicht. Aber es war keine natürliche, aus mir selbst gewonnene Leichtigkeit, es war eine künstliche Leichtigkeit. Das erschreckte mich: Wie konnte ich mich so weit von mir selbst entfernen, dass ich mich nur noch als Komparse meines eigenen komödienhaften Films sah? Die eigenen Gefühle als lächerlich, als unverhältnismäßig erachten, allerdings ohne die übliche Konsequenz des Sich-Selbst-Verurteilens, weil man sich ja so gut fühlt, weil man grandios ist. Diese letzte Sicherheit geht in der Sucht oft verloren: Selbstmitleid, Schamgefühle, das Wissen um die eigene Abhängigkeit lassen sich nur durch noch mehr Alkohol ersticken. Aber abhängig wird man logischerweise nicht so schnell. Nur wenn man beginnt seine unverstandenen, unbekannten Gefühle automatisch so zu betäuben.
Für mich war einfach interessant zu sehen, wie die Dinge, die mir noch zwei Stunden zuvor das Herz fest umschnürt hatten, einfach widerstandslos abfielen und so erfrischend fremd erschienen. Aber spätestens der nächste Morgen bringt dann einen echten Gefühlskater.