Ich befürchte, ich bin zu naiv. Ich habe gerade gelesen, dass die CIA fünf Monate lang einen Deutschen festgehalten hat auf eine vage Vermutung hin. Das stellte sich als Irrtum heraus. Fünf Monate!!! Ich kann kaum ausdrücken, wie mulmig mir bei der Vorstellung wurde. Aber ich nahm mich auch gleich wieder zurück, weil ich mich an eine Diskussion in meiner WG erinnerte, als es um die krasseste Lüge ging, die ich je gehört habe. Als in der Londoner U-Bahn versehentlich ein einfacher Handwerker erschossen wurde, hatte die Polizei behauptet er hätte sich verdächtig benommen und einen langen schwarzen Mantel angehabt. Auf dem Überwachungsvideo sieht man eindeutig, dass er eine Jeansjacke anhatte. Für mich zerstörte das das Bild einer demokratischen Gesellschaft. Gerade daran, wie die Gesellschaft in der Bedrohung reagiert, erkennt man deren wahres Wesen. Dass die Londoner Polizei bei solch einem Anlass so schamlos lügt, warf für mich einen riesigen Schatten auf all unsere Errungenschaften, wie Rechtlichkeit und Demokratie. Aber in der Diskussion wurde diese konkrete Lüge auf das allgemeine verschwörungstheoretische Gerede herabgesetzt. Das sei doch überall so – Ehrlichkeit gebe es nirgends – was du alles nicht weißt – wer weiß schon, wie das alles in Wirklichkeit abläuft. Ich erschien also als der naive Idealist, auch wenn eine konkrete Beispiel-Situation viel wichtiger ist, als alles allgemeine Gelaber.
Die CIA-Flüge waren für mich schon erschreckend, aber die oben skizzierte Geschichte der Verschleppung, gibt mir erst ein Verständnis für das menschliche Leid, was dahinter stehen muss. Wie man sich fühlt, wenn man nichts gemacht hat und irgendwo in einen rechtsfreien Raum verschleppt wird und dort gefoltert wird, damit man zugibt, dass man etwas gemacht hat. Die eigene Existenz ist dort nichts mehr wert, die könnten einen genauso erschießen, es würde nie herauskommen, zur Rechenschaft gezogen wird der CIA nicht. Es ist fast wie bei George Orwell, da verschwinden Bürger auch einfach so und kommen entweder gebrochen zurück oder sie werden “vaporisiert”, ihr Leben wird ausgehend von ihrem Tod gelöscht, so als hätten sie nie existiert. Ich glaube, das spricht eine Urangst von mir an: Das es egal ist, ob man lebt oder tot ist. Es gibt niemanden, der sich darum kümmern würde. Die Geiseln werden ja nur am Leben gelassen, weil der Tod endgültig ist und man dann keine Fragen mehr stellen kann. Mich wundert eigentlich, dass sie ihn dann nicht einfach umgebracht haben. Die Freilassung stellt unseren Rechtsstaat ja noch mehr in Frage: Was kann denn der Freigelassene machen? Er hat seine Geschichte erzählt, niemand hat ihm geglaubt, niemand wurde befragt. Er wurde wahrscheinlich wie ein Spinner abgelehnt und für verrückt erklärt. Jetzt erst, wenn eine die Washington Post darauf aufmerksam macht, gilt seine Geschichte etwas. In unserem Rechtsstaat galt sie vorher nichts. An der Freilassung zeigt sich auch die Dreistigkeit des CIA, das Vertrauen darauf, dass man ihm eh nicht glauben würde oder gar, dass das Außenministerium keine Nachforschungen zulassen würde, dass er seine Rechte nirgendwo einlösen können würde. Das die Medien dies nun tun müssen, ist mehr als traurig und beängstigend.
Aber wahrscheinlich war ich zu naiv. Jeder hat wohl seine Naivitäts-Beendigungs-Erlebnisse. Soll dies meins gewesen sein? Nein.