Sperrmuell ist genial. Kulturtheoretisch wie auch lebenspraktisch. Zum einen lernt man viel ueber vergangene Zeiten und baut seine Faehigkeit aus, in Dingen einen Sinn zu entdecken und zu sehen, deren Existenz man zuvor gar nicht erahnt hatte. Zudem ist es extrem praktisch, weil Menschen im UEberfluss soviel wegwerfen, was noch brauchbar ist. Somit haben wir in unserer Wohnung folgende Dinge aus dem Sperrmuell gesammelt: Toaster, Sessel, Lampenschirme, Radio mit CD-Player, Plattenspieler, ein Sofa, ein Fernseher (der allerdings noch repariert werden musste), ein Vogelkaefig als neuer Lampenschirm, Stuehle, Zeitungsstaender, Buegeleisen, Waeschestaender und als neuestes ein uralter aber schoener Kicker und ein Trampolin ohne Fuesse (leider).
Sperrmuell ist auch der neue Solidaritaetspakt zwischen Jenensern und Studenten, neuerdings auch Lastersammlern. Die Grundregel lautet: Niemand kann ermessen, wie dumm oder verwoehnt die Jenenser sind. Sperrmuell ist wichtig in der kapitalistischen Verwertungslogik: Das alte muss erst beseitigt werden, damit wieder ordentlich neu konsumiert werden kann. Dass dann allerdings Studenten und andere davon profitieren, ist, glaube ich, nicht wuenschenswert und muesste eigentlich staerker geahndet werden.
Es gibt aber scheinbar einen großen Unterschied in der Wahrnehmung des Sperrmuells in Ost und West: Im Westen liegt die Betonung auf Muell, im Osten nirgendwo. Dort wird Sperrmuell als eklig erachtet. Dabei ist Sperrmuell einfach nur wie Ikea: Man will nichts und nimmt trotzdem viel mit. Neben den Dingen zudem einige schoene Anekdoten. Hier ein paar ältere.
„Ich hoffe, du hast das Auto nicht fotografiert“ sagte der abgehalfterte grauhaarige Typ im graubraunen Unterhemd, nachdem er den Standbabywickeltisch liebevoll zusammengeklappt und hinten in seinem Auto verstaut hatte. Vor mir steht sein abgewracktes und zugesperrmuelltes Auto, leicht drohend kommt er auf mich zu und sagt, falls er das Bild irgendwo sehe, passiere „etwas“. Er steigt ein und faehrt dann inkonsequenterweise nur zur naechsten Sperrmuellecke. Aber das ist wohl sein Geschaeft. Es ist haerter geworden: Litauer, Russen und Slowaken sind nun auch mit großen Lastern unterwegs. Aber man kennt sich.
Das letzte Mal sehe ich meinen Sammlerfreund in ein Gespraech mit einem Litauer schwadronieren, der einen Bergmannstragekorb auf dem Ruecken hat und gestenreich zu erklaeren versucht, wie die Polizei hier in Jena vorgeht. Sperrmuell sammeln ist illegal, auch wenn es laengst Volks- und Erlebnissport geworden ist.
Es gibt natuerlich auch Leute, die den Sperrmuell ausnutzen, um ihre merkwuerdigen Kellerbestaende auszumisten: Neulich fand ich eine komplette Kiste mit Kindergasmasken aus dem zweiten Weltkrieg. Der ekligste Fund waren aber Reagenzglaeser vor – wie sich spaeter herausstellte – einer Veterinaerspraxis. In einem war ein abgemagertes Kueken konserviert, in einem anderen, das auslief war eine Rinderleber aufgehoben. Eine Freundin von mir wollte das Kueken sogar mitnehmen und sich als Absurditaet wohl ins Regal stellen.
Apropos: Die unschoenste Geschichte, die ich dabei erlebt habe, handelt von einem stinknormalen Stuhl. Ich entdeckte ihn vor einer Pizzeria an einer Ausfahrtsstraße und fand ihn recht schoen. Also beschloss ich ihn mitzunehmen. Stuele tragen sich aber ueber eine weite Distanz nicht sonderlich gut, daher nahm ich ihn irgendwann auf die Schulter und presste ihn leicht gegen meinen Kopf. So schaffte ich immerhin den Weg bis zu mir, auch wenn das Polster immer wegrutschen wollte, was mich zu diesem Zeitpunkt wenig irritierte. Als ich aber zu Hause angekommen war und das Polster richten wollte, stellte ich fest, dass es abnehmbar war und sich darunter ein Loch befand. Es war also ein Klostuhl gewesen – allerdings ohne Schuessel – und ich hatte ihn die ganze Zeit schoen eng getragen. Es gibt Momente, wo einen der Ekel uebermannt. Dies war ein solcher Moment.