Einmal vertrat ich in einer Diskussion die Ansicht, dass in dieser Oase der Servicefreundlichkeit die ursprüngliche Ostunfreundlichkeitswüste verloren gegangen sei. Ja sogar, dass man sich im Grunde aufmachen sollte und die Geschäfte suchen sollte, in denen man noch unfreundlich – und damit meines Erachtens nach menschlich – bedient wird. Die Kundenfreundlichkeit erinnert mich immer an Schilderungen aus Asien, wo die Menschen niemals nein sagen würden oder einen im tiefsten Hass noch freundlich anlächeln. Sicherlich auch an die verlogene Kundenservilität der Amerikaner. Warum sollte man den Angestellten nicht auch ein Leben zugestehen, ihnen Emotionen zubilligen? Warum diese blendend weiße Grauzone, strahlt das nicht auch auf das Leben ab, führt zu Fassaden lächelnd gebleckter Zähne? (Nicht das man große Emotionen jemals im Alltag gesehen hätte, aber drückt sich nicht in der leichten Gestimmtheit, in den Zwischentönen vor dem Paukenschlag, auch das Menschliche aus?) Ich sehnte mich also nach menschliche Unberechenbarkeit: Hatte die Apothekerin schlecht geschlafen und deshalb etwas verwirrt und ruppig; war ihr Kind krank und machte sie sich deshalb Sorgen; hatte sie gerade einen Kurzurlaub gemacht und war noch entspannt und lächelnd? All diese Hintergründe würde ich nie erfahren, aber sie würden doch den unpersönlichen Konsum und damit den Umgang miteinander lebendiger machen. In meinem Absolutheitsdenken sehnte ich mich sogar noch Osteuropa, wo Unfreundlichkeit allgegenwärtig ist. Dann wäre der Konsum sogar sozial verbindend, weil man sich gemeinsam aufregen könnte. Aber in ihrer Festlegung auf die mürrische Seite des Beziehungsspektrums entsprachen sie eigentlich nicht meinem Wunsch nach Verkäufer-Menschlichkeit. An diese schöne Diskussion wurde ich gestern von meiner Mitbewohnerin erinnert und zugleich aber auch an mein nachmittägliches Verkaufs-Erlebnis. Voller positiver Energie war ich auf der Suche nach Einback, einer exklusiveren Variante des profanen Milchbrötchens. In meiner Energie wollte ich und konnte ich in einer Bäckerei nicht so lange warten bis die einzige langsame Kundin bedient war und fragte schnell zwischendurch. Die Verkäuferin hielt kurz inne und hatte meine Frage verstanden, aber anstatt eine Antwort zu geben, die ihr offensichtlich auf der Zunge lag und “Nein” lautete, sagte sie barsch aber auch abschätzig ob der Störung “Warten sie bis sie dran sind.” Das erdete mich stark. Diese Demütigung wollte so gar nicht zu meiner Hochstimmung passen.
Eigentlich sollte dieser Eintrag nun in der Konfrontation von Gerede und Wirklichkeit enden. Was nützt mein theoretisches Geschwätz, wenn ich dessen Anwendung in der Wirklichkeit nicht ertragen kann. Aber in der Ausformulierung der Situation wurde mir klar, dass es keine echte “menschliche” Unfreundlichkeit der Verkäuferin war, sondern eine ebenso aufgesetzte wie grundlose Unfreundlichkeit, die nur dem ungeschriebenen Geschäfts-Prinzip des “der EINE Kunde ist immer König” folgt.
Das Gerede muss also noch auf den Prüfstand der Wirklichkeit. Aber nur, wenn ich mal wieder geschäftsgrau gestimmt bin.