Manchmal entdecke ich seltsame Regelhaftigkeiten des Lebens, die aber in ihrer Entdeckung meist wieder vergehen. Dies ist also ein – in diesem Falle sogar trauriger – Rückblick.
Früher verletzte ich mich beispielsweise an wenigen Tagen nacheinander zufälligerweise an fast allen Fingern der Hand. Dann schaute ich meine Hand an und sah an jedem Finger die spezifische Wunde und dachte, wie seltsam diese Häufung war und warum nicht an einem Finger zwei waren. Vielleicht haben die Finger das untereinander ausgeknobelt, haben sich blitzschnell aus der Schneidlinie des Messers bewegt, nur damit der Nachbar auch einen Schnitt bekommt. Vielleicht sind Finger auch gehässig und gönnen dem anderen keine Unversehrtheit. Ob ich mich nach dieser Entdeckung noch verletzte, weiß ich nicht mehr.
Dieses Leben-in-Regeln-Pressen nahm manchmal auch seltsame Züge an. So glaubte ich bei mir lange daran, dass die Zahl drei eine Bedeutung in meinem Beziehungsleben spielte. Drei Küsse in drei Stunden bekam ich von einem Mädchen damals (wobei der letzte der schmerzhafteste war), drei Tage hatte ich meine erste Freundin (wobei der letzte der härteste war), drei Wochen die zweite Freundin und fast drei jahre die dritte Freundin. Oje, wird die nächste Beziehung 30 Jahre dauern – wahrscheinlich ist das.
Aber eigentlich sträubt sich das Leben gegen solche Regeln. Im Grunde sind es nur Interpretationen, die wir an die Mannigfaltigkeit des Lebens antragen, in etwa so als würde man den Himalaya mit einem Lineal und einem Geodreieck ausmessen wollen. Aber immer wieder erklärt man die eigenen Messungen für richtig, dabei hätte man genauso gut alles andere messen können.
Meine neueste Himalaya-Messreihe jedenfalls ist unerwartete Zuwendung. An den letzten drei Tagen gab es jeweils ein schönes Mädchen, das sich mir lächelnd zuwandte. Das ist insoweit besonders, als dass ich das nicht erwartet und eigentlich schon aufgegeben hatte. Ignoriertwerden gehört zum Tagesgeschäft. It’s all in days work for Ignored-Man. Gestern beispielsweise kam es zu einer sehr merkwürdigen zwischenmenschlichen Situation. Eigentlich war es diese Situation, die ich hier beschreiben wollte, der gesamte Vorlauf hat sich nebenbei im Grübeln über Regelhaftigkeit ergeben.
In der Mensa, alleine essen gehend, stehe ich plötzlich hinter einem Mädchen, das ich früher interessant fand, die sich aber mit ihren Blicken direkt neben die sauren Trauben gehangelt hatte. Sie dreht sich plötzlich um und schaut mich an als müssten wir uns kennen. Es ist wieder einer dieser kurzen Augenblicke, wo man Erkennen in des anderen Augen sucht, es aber nicht findet und daher die Augen niederschlägt, um die Hoffnung zu verbergen, die man auch ausgestrahlt hatte. Abgeblockte Augen-Hoffnung ist eine der härtesten nonverbalen Niederlagen. Vielleicht gibt es deshalb so selten Augenkontakt.
Ich war eher überrascht und das äußerte sich auch in meinen Augen, soweit ich mein Gesicht ohne Spiegel beurteilen kann. Ich stand aber weiterhin hinter ihr. Auch an der Kasse. Sie hatte ihren Personalausweis aufgeklappt und ihr Bild überraschte mich etwas, so dass ich länger hinsah, als es die Höflichkeit geboten hätte. Einen ermahnenden Blick oder das ähnlich wirkende Zurückziehen der Information gab es nicht. Aber nachdem sie bezahlt hatte und eigentlich ihr Tablett hätte wegnehmen und weggehen müssen, blieb sie kurz stehen und drehte sich kurz komplett zu mir um. Sie wandte sich mir so zu, als müssten wären wir gemeinsam hier. So als wollte sie mir die ganze Zeit was sagen, als wollte sie, dass wir gemeinsam essen. Es war fast wie eine Einladung. Wir standen uns ganz kurz so gegenüber, es war nur eine Sekunde. Ich glaube fast, dass sie es unbewusst tat, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Dann kam ihr Kopf wieder hinzu und wandte sich ab. Vielleicht wollte sie mich auch nur ermahnen, nicht so neugierig zu sein. Aber das wäre eine negative Deutung und da ich durch meinen Blog in den Augen meiner Mitbewohnerin zum “Lebensapologeten” geworden bin, verwerfe ich das lieber. Zumal es nicht mit meiner momentenen Deutung übereinstimmen würde.
Schade eigentlich nur, dass die Serie jetzt durch ihre Beschreibung abreißen wird. Immerhin waren es drei unerwartete Zuwendungen. Das passt zu meiner oben geschilderten Beziehungsregel.
Warum das ausgerechnet nun passierte, kann ich glücklicherweise erklären: Ich werde krank, da wirkt man anziehender.