Manchmal drehen einem Freunde einen Strick aus kleinsten Situationen. Das interessante daran ist, dass sie eine kleine Szene aus dem endlosen Alltag, aus der Gefühlskakaphonie der 24 Stunden herausgreifen und daraus eine allgemeine Entwicklung ableiten. Eine gute Freundin tat dies immer, wenn wir uns trafen und ich nicht gleich hellauf begeistert war, sondern noch immer in der neutralen Alltagsmine verharrte. Sie sagte dann: “Immer wenn ich dich treffe, bist du schlecht drauf.”
“Wie geht’s dir?” ist auch eine Anfrage, die dem Dasein widerspricht. Den ganzen Tag lang IST man in irgendwelchen Zuständen, ohne dass es wichtig wäre, diese vor sich selbst zu benennen (außer man konstatiert eine Meta-Entwicklung: “Ach habe ich heute wieder ein Pech” oder “Mir gelingt ja alles heute”). Kommt nun aber die Frage nach dem Zustand, kann man diesen oft gar nicht so korrekt abbilden, wie es nötig wäre, weil man selbst ja dieser Zustand ist und erst einmal auf sich selbst herabblicken muss, um eine Wortentsprechung zu finden. Dies und der Fakt, dass man am Anfang eines Gesprächs niemals eine angemessene seelische Tiefe erreicht, sorgen dafür, dass bei dieser Frage nur das verwaschene “Gut” zustande kommt oder eine leicht negative Schattierung mit “Geht so” gezeichnet wird.
Genauso wie beim “Wie geht’s?” lediglich ein Moment des ganzen Tages gespiegelt wird, entspricht eine kleine Situation, in der man sich unerwartet verhält, nicht dem neuen Naturell eines Menschen. Es gibt Menschen, die konstruieren daraus ganze Persönlichkeitsmuster. Sicherlich kündigen sich diese Charakterwandlungen zwangsläufig in kleinen Erlebnissen an. Allerdings muss dabei wie immer auch die Situation des anderen betrachtet werden: Nur weil man selbst den Anderen so nicht erwartet, neigt man dazu dessen Verhalten durch eine negative Entwicklung (es passiert nur bei negativem Überraschungen) zu erklären. Die Situationsumstände vernachläsigt man dabei geflissentlich, andere Erklärungsmöglichkeiten werden zugunsten des Schlechten und Einfachen ausgeblendet. Hat man dann einmal ein Urteil oder die Idee einer Entwicklung dann betrachtet man das Verhalten des anderen oft in diesem Licht. Man hat nur dieses eine Erklärungsgleis und sieht in vielen Aussagen einfach Stationen für die unerwünschte Charakteränderung. Andere Deutungen gehen umso schneller verloren. Das geht solange bis es irgendwann herausplatzt, weil derjenige ja dem auch entgegensteuern und dem anderen helfen will. Für den Betroffenen wirkt das meist verwunderlich, weil die Reaktionen in den Situationen so verschieden waren und immer anders begründet waren. Eine konstante Entwicklung liegt dem meist nicht zu Grunde. Wir Menschen ändern uns ja sehr selten und wenn auch nur langsam.