Neulich habe ich mit einem Freund über die folgenreichsten Fehlinterpretationen im zwischenmenschlichen Bereich gesprochen: Die Kränkung des Selbst oder die Angst vor dem Alleinsein als das Wollen einer Beziehung misszudeuten.

1. Kränkung des Selbst als Wollen des Anderen missdeuten. Die Zurückweisung einer Frau, die man zuvor nicht oder nur halb wollte, wird statt als Kränkung des Selbst als ein eigentliches Wollen der anderen Person verstanden. Daraus sind schon sehr viele, sehr schmerzhafte Beziehungen entstanden.
Ein Beispiel aus meiner näheren Umgebung: Ein Freund war sich nicht sicher, ob er eine Beziehung mit einer Frau wollte. Das Ganze zog sich bereits fast ein halbes Jahr hin. Es war immer wieder on/off, ein ewiges Herumlavieren. Dann zog sie, die sie eigentlich verliebt und überhaupt nicht unsicher war, einen Schlussstrich, auch um sich selbst zu schützen. Das allein kränkte ihn schon sehr. Zusätzlich fuhr sie aber noch zu einem seiner besten Freunde und verstand sich sehr gut mit ihm. So kam die Eifersucht noch ins Spiel. Er spürte daraufhin ein so klares JA, wie er es noch nie zuvor gespürt hatte. Aber das war eigentlich nur eine Verwechslung. Er verwechselte sein gekränktes Ich mit der Liebe zu dieser Frau. Es ist aber auch ein naheliegendes Muster, die Kränkung dadurch zu verarbeiten, indem man die Person, die einen gekränkt hat, wieder wohlwollend stimmt.
In dieser klaren Form kommt dieses Muster wohl nicht so oft vor. Aber beim Kennenlernen spielt es oft im Hintergrund eine Rolle. Es lautet dann: „Was ich nicht haben kann, will ich umso mehr.“ Das führt sehr oft zu schmerzhaften Zurückweisungen, die wiederum umso mehr anstacheln, den anderen zu wollen. Ein schrecklicher Teufelskreis, der erst dann durchbrochen wird, wenn der Selbstschutz einsetzt. Ein Rückzug, der dann aber beim Anderen, wenn er ähnlich geprägt ist, wiederum ein Hinterhergehen hervorrufen kann, was auch nur durch die Kränkung des Rückzugs ausgelöst war und nicht durch ein echtes Wollen. So wird wieder ein neues Zeichen gegeben, so dass der Rückzug zurückgenommen wird und wieder gehofft werden kann, was der andere aber eigentlich gar nicht beabsichtigt hatte, so dass er nach diesem klareren Zeichen auch wieder zurückrudert und damit erneut verletzt. Ach, und so weiter…

2. Die allgemeine Sehnsucht nach Nähe mit der Sehnsucht nach der letzten nahen Person verwechseln. Nach einer Beziehung entsteht oft eine Einsamkeit, eine Sehnsucht nach Zweisamkeit, die eigentlich ungerichtet ist – man spürt nur einen Mangel, eine Leerstelle. Anstatt sich aber zuzugestehen, dass man einsam ist und Geborgenheit in einer zukünftigen anderen Beziehung sucht, schaut man in die Vergangenheit und beginnt, die letzte nahe Beziehung zu idealisieren. Man verwechselt die eigene Einsamkeit mit dem Wollen eines anderen Menschen, im Extremfall sogar mit dem Wunsch nach Rückkehr in eine kaputte Beziehung. Diese Missdeutung ist natürlich auch naheliegend, da dieser Mensch auch der letzte war, der einem das gab, was man im Moment so dringend braucht. Nur leider werden dann all die negativen Seiten ausgeblendet, die die Beziehung letztendlich zerstört haben. Dieses Muster habe ich auch lange Zeit gepflegt.
Dies ist natürlich nicht nur auf die Vergangenheit beschränkt. Im allgemeinen ist es dann das Muster: „Ich habe Angst vor dem Alleinsein, deshalb brauche ich jetzt jemanden.“ Auf wen sich der Blick dann richtet, ob in die Vergangenheit oder in die Gegenwart, ist offen. Aus dieser Angst heraus sind schon viele unklare Beziehungen begonnen, aber auch endlos weitergeführt worden.

Wie man diese beiden Deutungen vermeidet, ist allerdings unklar. Das passiert ja alles nicht auf der rationalen Ebene. Sie sind eigentlich auch nur naheliegend und menschlich: Niemand will gekränkt werden oder allein sein. Das schmerzt. Vielleicht ist es ja, dass man diesen Schmerz aushalten und akzeptieren sollte. Dann kommt irgendwann irgendwas anderes – hoffentlich.