Ich verstehe vieles wirklich nicht mehr. Ich habe verstanden, dass Hartz IV eingeführt wurde, um die Position der Arbeitgeber zu stärken, da ihren Arbeitnehmern bei einer Kündigung immer der soziale Absturz auf Hartz-IV-Niveau droht. Vor dieser Kulisse können die Arbeitsbedingungen beliebig verschlechtert werden. Für die Arbeitgeber und ihren politischen Arm, die FDP, eine sehr plausible Argumentation. Aber: Wenn die Arbeitnehmer sich wirklich bedroht fühlen durch diesen Abgrund namens Hartz IV, warum wollen sie dann nicht, dass dieser Abgrund nicht mehr so tief ist? Wieso wollen sie den Abgrund stattdessen selbst noch vertiefen? Ist es die Hoffnung, dass, wenn der Abgrund nur tief genug ist, er dann verschwindet?

Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht, was die Bild am Sonntag und der Spiegel da berichtet hatten: 56 Prozent der Deutschen wollen keine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes, 14 Prozent sogar eine Absenkung. Am Rande wird noch erwähnt, das 36 Prozent eine Erhöhung wollen. Das ergibt ja auch erstaunliche 106 Prozent. Es waren zudem nur 502 Befragtem, die ganz Deutschland repräsentieren. Eine sehr dubiose Sache. Daher habe ich bei Emnid mal nach den Grundlagen dieser Umfrage gefragt. Was zurückkam, hat mich sehr erschreckt und ist eigentlich ein Thema für sich. Emnid gibt die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Umfrage nicht heraus, sondern verweist an den Auftraggeber, die Bild am Sonntag. Das ist unglaublich! Ein Interessenkonflikt erster Güte! Als ob die Bild am Sonntag, wohlgemerkt eine Zeitung, die Grundlagen der Befragung, die sie exklusiv veröffentlicht hat, herausgeben würde, damit sie dann wissenschaftlich überprüft werden können. Umfragen von Emnid sind keine wissenschaftliche Angelegenheit mehr, sondern ein zu vermarktendes Produkt. Als Auftraggeber kauft man nicht nur die Umfrage, sondern auch die Vermarktungsrechte. Das heißt also man hat nicht nur das bestellte Ergebnis, sondern kann auch noch absichern, dass niemand den Bestellvorgang hinterfragt. So werden Daten in die Welt gesetzt, die niemand überprüfen kann. Aber für einen kurzen demagogischen Schwank reicht es ja auch vollkommen aus. Das war ja auch schon bei den 18 Prozent für die Sarrazin-Partei so. Ebenfalls ein BamS-Auftrag an Emnid. Seltsam. Ich bin gespannt, was mir die Bildzeitung zu den Hintergründen ihrer Umfrage antwortet.

Wenn das wirklich stimmen sollte, dass so viele Deutsche, den Menschen, die eigentlich nichts haben, selbst das nicht gönnen, dann sieht es wirklich düster für unsere Gesellschaft aus. Es ist ein Sieg der medialen Verdummung durch das ewiggleiche Mantra: „Wer arbeitet, soll mehr haben, als der, der nicht arbeitet.“ Statt dass die Löhne angehoben werden, soll das Existenzminimum am besten abgesenkt werden. Ich kann nicht verstehen, dass das wirklich Menschen glauben. Immer wenn ich den Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“ höre, frage ich mich, warum die Gewerkschaften ihn nicht einfach zurückerobern. Dieser Spruch schreit doch nach einer Lohnerhöhung und nach sozialer Absicherung.

Eigentlich müsste sich auf der Grundlage dieser neuen Entscheidungen ja eine riesige Protestbewegung bilden. Aber vielleicht ist es ja in Deutschland auch so, wie der großartige Gil Scott-Heron schon in den Siebzigern über das sich sozial spaltende Amerika gesungen hat: „And ain’t nobody fighting, cause nobody knows what to save“. Das einzige, was man hier noch sichern will, ist das eigene Überleben.

Hier noch das Video dazu: Gil Scott-Heron – Winter in America