Ich hasse die Kommentare auf der ersten Seite der ZEIT. Es sind die windelweichsten, alles einschließendsten Kommentare, die es im deutschen Zeitungsgeschäft gibt. Sie sind wie der Aufsatz eines Zwölftklässlers: „Es ist so, aber man muss auch berücksichtigen das…“ Da kommen die merkwürdigsten Argumentationen zustande: Wörter werden in Aber- oder in Sowohl-als-Auch-Zusammenhänge gebracht, die überhaupt nicht zusammenpassen. Am Schönsten hat übrigens die Titanic den bräsigen Stil des Chefredakteurs in ihren JosefJoffeKolumnen parodiert.
Allerdings scheint das ein Phänomen zu sein, das mittlerweile auch auf andere Zeitungen überschwappt. Neulich habe ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über Libyen gelesen, der dieses Prinzip der ZEIT und des gegenwärtigen Journalismus sehr gut auf den Punkt bringt. Der Autor Tomas Avenarius ist ein Insider, der schon lange aus dem nahen Osten berichtet. Er wehrt sich gegen das kleinkarierte Fragen, warum denn der Westen Gaddafi solange unterstützt hat, mit dem folgenden Satz: „Die Frage, ob die internationale Staatengemeinschaft wieder einmal zu lange gewartet hat, bis sie sich von einem der einschlägigen arabischen Autokraten abwendet, ist ebenso berechtigt wie müßig.“ Das ist wirklich traumhaft formuliert: „ebenso berechtigt wie müßig.“
Der Satz drückt für mich in reinster Form das heutige Verständnis des Journalismus aus. Er sagt: „Ich als Journalist bin Teil des Systems, ich habe nicht gefragt und auch nicht kritisch kommentiert, irgendwann habe ich das nämlich aufgegeben, weil es nicht lohnt, moralische Ansprüche an die Realpolitik heranzutragen, weil das ja viel zu idealistisch ist und wir alle wissen, wohin man mit Idealismus kommt – nämlich nicht weit und schon gar nicht in die große Politikshow, in die ich will. Ich würde eigentlich gerne nur schreiben, dass die Frage „müßig“ ist, aber das widerspricht auch meinem Berufsverständnis, weil ich immer auch zeigen will, dass ich einen kritischen, selbstreflexiven Geist habe – und da ist es wichtig, auch mal so eine selbstkritische Formulierung einzubauen. Aber damit die Leser nicht denken, wir als der Westen und als mutige und kritische Journalisten hätten etwas falsch gemacht, nehme ich sie gleich wieder zurück und konzentriere mich viel lieber auf die Zukunft.“
So sehen die meisten Journalisten heutzutage wahrscheinlich auch so randständige gesellschaftliche Themen wie die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, nach der Korruption in der Politik, nach dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft – all diese Fragen sind ebenso berechtigt wie müßig.