Es ist erstaunlich, wie berechenbar Kunst häufig ist, wie sie sich einordnet, wie sie sich an Muster und Formen hält. Und es wundert mich immer wieder, wie wenig Künstler doch machen müssen, wie wenig Ideen und Perspektivwechsel sie benötigen, um als Künstler zu gelten und ausgestellt zu werden. Ja, ich gestehe es: Ich war dort, wo jeder gute Bildungsbürger einmal alle fünf Jahre hinpilgert – in Kassel auf der documenta!
Als ordentlicher, laien-philosophischer Blog will ich hier neben der klassischen Kritik („Ist das Kunst?!“) auch einen Überblick über die Formen der meisten Arbeiten geben, die dort zu sehen sind. Jenseits von Malerei, Fotografie und Videoinstallation kann man die modernen Kunstformen in etwa so zusammenfassen:

Polit-Kunst
Die Politkunst unterscheidet sich in die Plakativ-Kunst und die Recherche-Kunst. Die Plakativ-Kunst trägt ihre politische Bedeutung betont vor sich her und dampft politische Themen auf möglichst große, plakative Symbole ein. Jeder soll sie verstehen, damit auch jeder ordentlich provoziert wird! Im Gegensatz dazu steht die Recherche-Kunst. Da hat sich eine Künstlerin extrem viel Mühe gegeben und die Geschichte eines verfolgten Volkes, eines vergessenen Massakers oder einer illegalen Enteignung untersucht. Diese Geschichte wird dann in Schaukästen, wie eigentlich sonst nur im Museum, haarklein dargelegt. Jedes gefundene Dokument muss präsentiert werden. Kunst ist hier dem kritischen Journalismus sehr nahe – nur dass dieser dann für den finalen Artikel die wichtigsten Informationen aus all dem Recherchierten auswählt!

Neues-Material-Kunst
Jeder Künstler braucht eine Nische – in der BWL-Sprache würde man sagen: einen Unique Selling Point (USP). Und da ist in 2000 Jahren schon einiges abgegrast worden an Stilen, an Mitteln und Inhalten. Aber man hat sich doch recht lange an klassischen Kategorien orientiert, wie der Malerei auf der Leinwand oder der Bildhauerei aus Marmor. Um neue USPs zu finden, müssen daher nun die Materialien ran: Noch nie hat jemand aus Stroh künstlerisch wertvolle Muster geknotet! Noch nie hat jemand aus Styropor eine Stadt nachgebaut! Noch nie hat jemand eine Felsplatte halb geschliffen in eine Galerie gelegt!

Alltags-Transfer-Kunst
Mit dem Readymade begann es – heute endet es nicht mehr. Wahrscheinlich gibt es auf der Welt keinen Gegenstand mehr, der nicht schon von irgendeinem Künstler in eine Galerie verschleppt und als Kunst präsentiert wurde. Noch niemand hat einen häßlichen Möbeltisch verkehrt herum in eine Ausstellung gestellt? Und noch niemand hat das Ganze dann mit Klebeband verbunden? In solch eine Lücke muss ein Künstler doch schlüpfen! Eine intellektuell höherwertige Unterform dieser Alltags-Transfer-Kunst kann durch die Materialwahl geschaffen werden: Alltagsgegenstände werden dann nicht einfach transferiert, sondern auch aus einem anderen, möglichst kunsthistorisch wertvollen Material (wie Marmor) nachgebildet. Da liegt gleich noch mehr Bedeutung in der Luft!

Was ich wirklich vermisst habe, ist interaktive Kunst, die mit dem Betrachter interagiert. Klassischerweise wird dies in der modernen Kunst durch Performances gemacht – aber nicht einmal davon gab es welche, als ich da war. Noch schöner fände ich allerdings Kunst, die auf den Betrachter reagiert. Beispielsweise hätte ich gerne eine Installation gemacht, die sich mit der Verschmutzung der Meere auseinandersetzt (also Polit-Kunst). Ich hätte Plastikflaschen wie Planeten auf Laufbahnen gesetzt, so dass ein riesiger Strudel entsteht. Dieser würde mit Bewegungssensoren ausgestattet sein und sich gar nicht drehen, wenn niemand im Raum wäre, dafür aber umso schneller, je mehr Menschen herantreten. In der Mittte wäre eine Lichtquelle, die den Raum (durch das Blau der Plastikflaschen) in ein meeresähnliches Licht taucht. Die Bewegung der Flaschen würde eine Wellenoptik erzeugen. Solche Kunst hätte mein spielerisches Herz begeistert.