Jede Utopie braucht eine Exposition. Die Zukunftswelt muss dem Gegenwartsmenschen vorgestellt werden – wie sonst sollte er die Regeln dieser ihm fremden Welt verstehen? In Büchern ist dies selten ein Problem, dort kann ein allwissender Erzähler diese Einführung leisten (z.B. in „1984“). Im Film muss dies anders gelöst werden: Klassischerweise nutzen Filme dafür Figuren, die in dieser Welt fremd sind, und denen – gemeinsam mit dem Zuschauer – alles erklärt werden muss (z.B. Neo in „Matrix“). Durch eine solche Figur kann auch vermieden werden, dass es künstliche Dialoge mit unnötigem Zuschauertext gibt. Nur wenige Filme schaffen es, die utopische Welt ohne Fremdfiguren und ohne Zuschauertext vorzustellen: Sie werfen den Zuschauer direkt in diese fremde Welt hinein und er ist gemeinsam mit dem Protagonisten dieser Welt ausgeliefert (z.B. „The Lobster“).

Es gibt aber auch Filme, die von allem ein bisschen versuchen: Bei „Bladerunner 2049“ wird man nach einem recht kurzen Einführungstext direkt ins Geschehen hineingeworfen. Der Rest soll dann durch Zuschauertext erklärt werden (z.B. durch den Monolog des Archivars zum großen Blackout). Aber dieser Vorstellungsmix kann eine gute Exposition nicht ersetzen und führt bei diesem Film zu einem gravierenden Problem: In einer utopischen Welt, in der es Roboter und Menschen gibt, wird die Bedeutung des Unterschiedes zwischen beiden nicht einmal ansatzweise erklärt! Es wird kein Mensch als solcher vorgestellt, es werden nur Roboter, sogenannte Replikanten, vorgestellt. Da es aber den Kontrast zum „echten“ Menschen nicht gibt, bleibt unklar, was die Roboter überhaupt auszeichnet: Was können sie? Fühlen sie etwas? Führen sie nur Befehle aus? Wollen sie etwas?

Hinzu kommt, dass es äußerlich kein Unterscheidungsmerkmal gibt: Wenn Roboter durch normal aussehende Menschen dargestellt werden, was macht sie dann zu Robotern? Der nicht gezeigte, aber behauptete Unterschied geht dem Zuschauer verloren: Er sieht Menschen, und muss sich ständig daran erinnern, dass es doch Roboter sein sollen.

Durch diese fehlende utopische Exposition bleibt auch die Hauptfigur nebulös: Von der schauspielerischen Leistung gesehen ist er ein Roboter, die endlos langen Close-ups auf sein Gesicht suggerieren aber, dass er ein Mensch sein soll und irgendwelche Gefühle zu den ihm widerfahrenden Geschehnissen haben sollte. Nebenbei bemerkt: Ich habe mich immer gefragt, ob Ryan Gosling eigentlich schauspielern oder nur schauen kann. Ich tendiere weiterhin zum zweiten, muss aber gestehen, dass er hier einfach an der Schizophrenie der Aufgabe scheitert: Roboter sein und menschlich gefilmt werden.

Auch das Setting, in dem die Hauptfigur lebt, suggeriert, dass er kein Roboter ist: Welchem Roboter müsste man eine virtuelle Frau zur Seite stellen? Wozu baue ich denn Roboter? Gerade damit ich all die menschlichen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen muss und einfache Arbeitsmaschinen habe. Auf dieser Problematik hätte man eine fast schon klassisch zu nennende Entwicklung aufbauen können: vom (erwünscht) „gefühllosen“ und nur „ausführenden“ Roboter zum (unerwünscht) „fühlenden“ und „eigenständigen“ Menschen. Aber selbst das ist nicht möglich, wenn der Unterschied zwischen Roboter und Mensch gar nicht dargestellt wird.

Auch die Motive der anderen Personen bleiben aufgrund dieses Mangels schleierhaft und sollen durch pure Nennung plausibilisiert werden: Die Polizistin behauptet plötzlich, dass die Welt untergeht, wenn Roboter gebären können. Der (mutmaßliche) Bösewicht des Films zerstört plötzlich ein neues Roboter-Exemplar, nur weil es nicht gebären kann, und will unbedingt das Roboter-Kind finden. Eine (scheinbare) Puffmutter wird plötzlich zur Anführerin einer Rebellion der Roboter gegen die Menschen und benötigt dafür das Roboterkind als Ikone. Dabei wurde ein Konflikt zwischen Robotern und Menschen vorher nicht einmal im Ansatz angedeutet.

Selbst die Actionszenen des Films kranken an der mangelhaften Exposition: Was bedeutet es, wenn sich am Anfang zwei (mutmaßliche) Roboter prügeln? In der finalen Actionszene wird dann tatsächlich die böse Roboterin ertränkt. Es stellt sich die Frage: Geht das eigentlich? Atmen Roboter überhaupt?

Statt all diese Probleme zu lösen, ergeht sich der Film lieber in endlosen visuellen Spielereien. Diese schicken Bilder bleiben aber künstlich, solange sie nicht durch echte Figuren mit nachvollziehbaren Motiven belebt werden. Der Palast des Bösewichts könnte sicherlich als „Ägyptische-Wasser-Schatten-Installation“ einen Kunst-Preis gewinnen und wirkt doch blutleer, da die Figur des dort hausenden Bösewichts unnachvollziehbar und blass bleibt. Harrison Ford wurde gleich ein ganzes 50er-Jahre-Luxus-Hotel spendiert – ohne, dass es etwas bedeutet. Dort musste plötzlich die Handlung vorangetrieben werden, es war einfach keine Zeit mehr für Charakterentwicklung. Diese Lücken in der Vorstellung der Figuren entwerten in meinen Augen auch die ambitionierten, visuellen Anstrengungen des Films.

Das größte Rätsel des Films (und vieler anderer moderner Filme) bleibt es, wie sie es schaffen, Überlänge zu haben und doch keine Geschichte zu erzählen. Dadurch wird es zunehmend frustrierender, Filmkritiken zu schreiben. Seit Jahren führt mich dieses Rätsel nämlich immer wieder zu ein- und derselben Frage: Warum stellt man in Hollywood nicht mal jemanden ein, der ein gutes Drehbuch schreibt, und verzichtet dafür auf eine (!) Minute Virtuelles-Überwältigen-Wollen? Hey Hollwood, glaube mir, mehr kostet das echt nicht!

(Bild: Sony Pictures)