Gestern sah ich zum zweiten Mal “Ein andalusischer Hund” von Dali und Bunuel. Diesmal als Stummfilm, mit der Live-Vertonung durch ein Streichquartett. Ein Musiker sprach ein paar einleitende Worte und sagte, dass der Film ihm jedesmal eine neue Perspektive eröffne und jeder seine eigene Interpretation habe, die (natürlich auch) richtig sei.

Vermutlich wurden über diesen Film bereits ganze Regalmeter an Büchern geschrieben. Und möglicherweise war die Einstellung der meisten gestrigen Kinobesucher auch richtig, dass dies ja Kunst sei und man dazu, wenn man dies denn vorher wisse, ein Glas Rotwein trinken müsse. (Man muss sich das vorstellen: Rotwein zu diesem Film!)

Ich habe nur eine Idee durch diesen Film bekommen, nur eine einzige Vermutung durch diese enorme Verstehenskluft und das zeitgleich vorhandene Wissen darum, dass es eigentlich nicht an meiner mangelnden Fantasie liegen kann, diese zu überbrücken:

Ein Film ist für mich dann nicht mehr fantasievoll, wenn es für jedes Bild eine Eins-zu-Eins-Entsprechung gibt, wenn jedes Bild genau eine Bedeutung hat. Dann ist es kein fantasievoller, kein die Vorstellungskraft herausfordernder Film mehr, sondern nur ein Film, der in einer anderen Sprache verfasst wurde, eine Sprache, zu der nur der Autor oder Regisseur Zugang hat und deren Magie allein darauf beruht, dass man sie zuvor noch nie gehört hat und ihren neuen Klang so betörend anders findet. Aber – und das ist ihr Problem – sie klingt nicht im Betrachter nach, sie erzeugt kein emotionales Echo. Jede individuelle Bedeutung würde durch die Rationalität der Übersetzung verloren gehen. Man würde das Leben des Regisseurs betrachten, seine Frauen, seine Ängste, seine Eltern, würde intertextuelle Bezüge suchen, Briefe interpretieren und so weiter. All das schafft Distanz zum Film.

Allerdings ist die Hermetik der Bildersprache ein grundsätzlicher Aspekt jeder Kunst. Jeder Künstler muss seine eigene Sprache entwickeln. Worum es mir hier allerdings geht – und was meines Erachtens in dem Film missachtet wurde – ist die Offenheit für Interpretationen. Die Bilder sind zu konkret, zu speziell. Sicherlich ist es kulturgeschichtlich wertvoll, dass Dalis Bildwelten verfilmt zu sehen. Doch mehr auch nicht. Im Endeffekt spiegelt solch ein hermetischer Film, solch ein fremdsprachiger Film nur Dali selbst wider, dessen Selbstverliebtheit und Egozentrik. Vielleicht ist er daher ja genau etwas für Kunstliebhaber, vielleicht ist er genau deshalb Kunst.