„Und, wie geht es dir?“ Das ist eigentlich eine ziemlich einfache und naheliegende Frage. Dennoch scheint es Menschen zu geben, die sie in ihrem Leben noch nie gestellt haben. Es sind Menschen, die ununterbrochen erzählen, bei denen der innere Monolog zu einem äußeren geworden ist. Für solche Monologisierer sind die Bedürfnisse ihrer Umwelt irrelevant.
Eine Freundin erzählte mir beispielsweise von den Telefonaten mit ihrer Mutter folgendes: Ihre Mutter redete ohne Unterbrechung und Nachfrage immer weiter, so dass diese Freundin oft das Telefon völlig zur Seite legte, auch ohne den Lautsprecher einzuschalten. Nach 10 Minuten nahm sie dann den Telefonhörer wieder auf und ihre Mutter hatte nicht bemerkt, das ihr niemand zugehört hatte. Sie redete immer noch.
Doch wie kommt es zu einer solchen Ignoranz, zu einer solchen radikalen Ich-Bezogenheit? Meine These ist, dass es sich hier um eine Form der Vorwärtsverteidigung handelt. Welche Optionen haben Kinder denn, wenn ihre Eltern mit sich selbst beschäftigt sind, sich nicht für sie interessieren und sie vielleicht sogar verleugnen? Da gibt es die Möglichkeit, rebellisch zu werden – als Problemkind bekommt man sehr viel Aufmerksamkeit. Dann gibt es die Möglichkeit still zu werden und in sich selbst abzutauchen – dann macht man wenigstens keine Probleme und stört das Leben der Eltern nicht weiter. Eine dritte Möglichkeit ist in meinen Augen das ungefragte Erzählen. Es ist vielleicht ein Zwischenweg: Man schadet nicht wie das Problemkind, aber man verstummt auch nicht wie das in sich abgetauchte Kind.
Der Clou an diesem Weg ist: Gerade weil niemand fragt, wird geantwortet! Wenn man warten würde, bis man gefragt wird, bis sich jemand für einen interessiert, müsste man ewig schweigen. Erwachsene, die soviel reden, wurden nie gefragt, wie es ihnen geht. Sie mussten, um überhaupt wahrgenommen zu werden, von sich aus erzählen. Deshalb erzählen sie auch heute noch in den freien Raum, ins Leere hinein. Und das Traurigste daran ist vielleicht, dass sie, gerade weil sie nie das Interesse an ihrer Person kennengelernt haben, auch nicht wissen, wie man sich für andere interessiert und wie man andere fragt.
Doch wie geht man damit um? Das jahrelang erfahrene Desinteresse, das durch ungefragtes Erzählen auch heute noch immer offensiv überbrückt werden soll, kann man nicht in einem Gespräch lindern. Schwierig ist auch, dass man, sobald man Interesse zeigt und nachfragt, diese Rede-Maschinerie erst recht in Gang setzt. Vielleicht ist sogar die Fähigkeit verloren gegangen, das Interesse der Anderen wahrzunehmen.
Während Monologisierer also normales Interesse oftmals nur als Bestätigung und Ermunterung zum weiteren Erzählen erfahren, gibt es noch andere Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen. Interessant ist nämlich, wen sich solche Menschen als Freunde suchen: Der obigen Mini-Typologie entsprechend suchen sie nicht die Rebellen, sondern eher die stillen Schweiger. Mit Rebellen können solche Monologisierer nicht umgehen: Offensives Einfordern von Aufmerksamkeit stößt sie eher vor den Kopf, vielleicht weil sie es als Desinteresse an ihrer Person missinterpretieren. Daher sind die stillen Schweiger ihre eigentlich perfekte Ergänzung: Sie erdulden die ewigen Monologe, weil sie es ja gewohnt sind, sich nicht auszudrücken.
Ich bin mir nicht sicher, ob es jenseits dieser eigentlich ungünstigen Passung auch noch Hoffnung gibt. Vielleicht kann man mit konstantem Interesse die aus ewigem Plappern bestehende Mauer ihres Nichtwerts zum Einsturz bringen, so dass dahinter endlich auch andere Menschen für sie sichtbar werden.