Ich gestehe: Ich habe eine altes Nokia-Handy! Ich kann damit weder fotografieren, noch ins Internet gehen, noch Musik hören! Mit diesem Handy werde ich zum Opfer eines Trends, der viel zu lange von den Medien ignoriert wurde: Die modische Obsoleszenz!

Wenn ich mein Handy heraushole, erfahre ich regelmäßig erstaunte, ja sogar besorgte Blicke. Es ist so, als würde mein geistiger Zustand an der Aktualität meines Handys gemessen werden. Bei manchen löst es Nostalgie-Gefühle („So eins hatte ich auch mal!“) oder Ansätze von Technikskepsis („Da sind ja eigentlich auch alle Funktionen drin!“) aus. Aber immer (!) ist man mit einem zwölf Jahre alten Handy ein Exot.

Lange habe ich nach einem Begriff gesucht, um dieses Phänomen zu beschreiben. Vor zwei Jahren bin ich dann auf die Obsoleszenz gestoßen. Zu meiner großen Enttäuschung wird dieser Begriff jedoch hauptsächlich mit dem Zusatz „geplant“ verwendet und bedeutet dann, dass ein Unternehmen Fehler in seine Produkte einbaut, damit die Kunden neue kaufen. Viel genialer ist es jedoch, wenn man nicht einmal Fehler in seine Produkte einbauen muss, sondern die Kunden diese trotz Funktionstüchtigkeit nach zwei Jahren freiwillig (!) wegschmeißen, weil es mittlerweile ein modischeres Modell mit (scheinbar) mehr Funktionen gibt. Auf diese Weise haben die Unternehmen nicht einmal Probleme mit unzufriedenen Kunden, die sich über das Kaputtgehen der Produkte beschweren. Damit übertrumpft die modische Obsoleszenz sogar die geplante: Vielleicht beträgt die Zeit bis zur geplanten Obsoleszenz, also dem Zerfall des Produkts, sogar wirklich zwei Jahre, aber der Kunde merkt es gar nicht mehr, weil er von sich aus ein neues Produkt will. Eine großartige Marketingleistung!

Dieses Phänomen scheint mir besonders auf die Handy- und die Laptop-Branche zuzutreffen. Radikalisiert und perfektioniert hat es dort Apple. Dieses Unternehmen hat es geschafft, seine Kunden zu hörigen Sklaven der modischen Obsoleszenz zu machen. Sie spüren den Druck, jede neue Version der Apple-Produkte zu kaufen, und müssen sich sogar rechtfertigen, wenn sie eine Generation überspringen. Apple hat sie bei ihrem modischen Gewissen, ihrer Up-to-Date-Manie gepackt und verspricht mit den neuen Modellen regelmäßig bahnbrechende Neuerungen. Vermutlich gibt es eine Liste mit Dingen, die bereits heute technisch umsetzbar sind, und einen Zeitplan, wann sie in welches Produkt eingebaut werden sollen, damit ausreichend Neuigkeitswert erhalten bleibt.

Die Halbwertzeit von technischen Devices beträgt heutzutage dank Apple und anderen keine zwei Jahre mehr. Die meisten jungen Leute sind, ohne es zu wissen, Opfer dieser modischen Obsoleszenz. Sie werden in Zukunft die besten und willigsten Konsumenten sein. Passenderweise wird dieses Phänomen bei Wikipedia auch als „Psychische Obsoleszenz“ bezeichnet. Ebenso passend allerdings auch, dass es dazu bisher keinen ausführlichen Beitrag gibt (im Gegensatz zur „geplanten Obsoleszenz“) und der Absatz wegen fehlender Zitate von der Streichung bedroht ist. Diesem Technik-Hype sollten sich Journalisten mal widmen. Ein sehr lohnendes Thema. Auch wenn es vielleicht unser System, das auf „selbst“-bestimmtem Konsum aufgebaut ist, in Frage stellen würde.