Die mediale Berichterstattung über Wirtschaftsunternehmen ist oft skurril: Es wird insgeheim unterstellt, dass das öffentliche Interesse und das wirtschaftliche Interesse deckungsgleich seien.

Ein einfaches Beispiel dafür ist der „Dieselskandal“. Dort wurde „Schummelsoftware“ in mehreren Dieselautos „entdeckt“. Die Software bewirkte, dass die Autos erkennen, wenn sie im Labor getestet werden und dann in einen Modus schalten, in dem weniger Abgase ausgestoßen werden. So konnten die Autos – zumindest im Labor – die vorgegebenen Grenzwerte einhalten. Auf der Straße hingegen stießen sie wesentlich mehr Abgase aus. Als dies bekannt wurde, wurde von individuellem „Fehlverhalten“ gesprochen und zumindest bei VW trat der Vorstandsvorsitzende zurück, der davon natürlich nichts gewusst hatte. Weitere Ingenieure wurden entlassen und eine interne Untersuchung wurde angeordnet.

Diese Reaktion ist eigentlich absurd: Das war natürlich kein individuelles „Fehlverhalten“. Es war ein Verhalten, das vollkommen im Interesse der Autokonzerne lag. Die dahinterliegende Forschungsfrage lautete wohl: „Wie kann ich als Konzern die immer höher werdenen Standards der Politik einhalten, ohne meine Autos kostspielig umbauen zu müssen?“ Dafür war das die perfekte und auch innovativste Lösung.

Das Problem ist nur, dass diese einfache Logik in der massenmedialen Öffentlichkeit nicht darstellbar ist. Dort herrscht ein eher simples Bild vor: Es gibt die Guten und es gibt die Bösen. Die Unternehmen sind auf der Seite der Guten – zumindest die deutschen Unternehmen. Sie geben den Deutschen Arbeit und verkaufen ihnen ihre Produkte. Da ist es wichtig, dass man einander vertraut. Dieses etwas archaische Bild von eigentlich milliardenschweren Unternehmen basiert vielleicht auch auf ihrem Gründungsmythos: Sie wurden von einem einfachen Mann mit einer einfachen Idee gegründet und stehen daher symbolisch auch dafür, dass es jeder schaffen kann.

Wenn diese Unternehmen, die in der Öffentlichkeit häufig wie nationale Familienunternehmen dargestellt werden, dann urplötzlich Stellen in Deutschland abbauen, dann ist das nur schwer mit der Logik der „guten“ Unternehmen zu vereinbaren. Wenn die Unternehmen aber ihre gutgläubigen Kunden betrügen (wobei es sich eigentlich ja nur um einen mittelbaren Kundenbetrug handelt, viel eher ist es ein Betrug der staatlichen Kontrollorgane), lässt sich das medial nicht mehr vermitteln – dann müssen die Unternehmen Buße tun: Sie müssen ihr wirtschaftlich eigentlich nachvollziehbares Verhalten auf dem Altar der öffentlich-moralischen Empörung opfern. Verantwortliche werden freigestellt und Untersuchungskommissionen werden eingerichtet, so als ob das Unternehmen von einem bösen und korrupten Geist von außen heimgesucht worden wäre. Dabei ist es eigentlich umgekehrt: Die wirtschaftsinterne Logik ist lediglich ins Scheinwerferlicht der äußeren, massenmedialen Öffentlichkeit geraten.

Ein ähnlicher Fall ist der Skandal um die Firma Cambridge Analytica. Hier hat ein Insider berichtet, dass Facebook der Firma Cambridge Analytica erlaubt hat, die Profile der Nutzer abzuschöpfen und diesen dann personalisierte Werbung zukommen zu lassen (schlimmerweise für Donald Trump). Nun steht Facebook für dieses Verhalten am öffentlichen Pranger. Dabei ist das, wofür Facebook nun gescholten wird, gerade das basale Geschäftsmodell von Facebook: Der Handel mit den Daten der Nutzer und das Angebot von personalisierter Werbung. Auch hier ist es eher ein Skandal, der aus der Diskrepanz der naiven, öffentlichen Vorstellung von diesem Unternehmen und dessen realer, wirtschaftlicher Handlungsweise entstand.

Dieser Text soll allerdings keinen Freibrief für Unternehmen darstellen, alles zu tun, was wirtschaftlich sinnvoll wäre. Darunter fiele sicherlich auch, Kinder arbeiten zu lassen oder Abwasser in Flüsse zu leiten. Insofern sind öffentliche Skandale, die zu einer politischen Regulierung und Kontrolle führen, auch sinnvoll. Da es aber im Interesse der deutschen Regierung ist, die deutschen Autounternehmen nicht zu regulieren, blieb der „Dieselskandal“ politisch folgenlos und spielte sich lediglich auf einer öffentlich-moralischen Ebene ab, die in Appellen an die unternehmerische Selbstverantwortung gipfelte. Dass dies bei Facebook ebenso sein wird, ist sehr wahrscheinlich (klugerweise hat Facebook ja Politikern gezeigt, dass es Wahlen beeinflussen kann).

Vor diesem Hintergrund ist jedoch die massenmediale Empörungswelle nur schwer zu verstehen. Sie entstand aus der naiven Vorstellung dessen, was die wirtschaftliche Logik eines Unternehmens ausmacht. Es ist so, als ob herauskommt, dass die Mafia Menschen töten ließ. Kurz darauf tritt der Mafia-Boss vor die Presse und sagt: „Es tut uns leid, dass hunderte Menschen ihr Leben verloren haben! Es gab scheinbar individuelles Fehlverhalten in unserer Organisation, das zu diesen Vorfällen führte. Um die Vorfälle lückenlos aufzuklären, werden wir nun eine Untersuchungskommission einrichten! Auch wenn ich persönlich von diesen Vorfällen nichts wusste, übernehme ich die volle Verantwortung und trete mit sofortiger Wirkung zurück.“

(Bild: By Ralf Roletschek – Own work, GFDL 1.2)