Neulich war ich bei einem Konzert von Stella Sommer. Sie ist Sängerin der Band „Die Heiterkeit“ und wird vom Feuilleton als „neue Nico“ gefeiert. Ihre tiefe, dunkle Stimme erinnerte mich tatsächlich an Nico – aber da sie die meisten Lieder auf Deutsch sang, stand dies für mich nicht im Vordergrund, sondern viel gravierender war etwas anderes: die gruselige Banalität ihrer Songtexte. Über dieses Phänomen wollte ich schon seit Jahren einen Text schreiben.

Vielleicht kann man Songtexte generell auf einer Skala beschreiben: Am einen Ende steht die Alltagssprache, am anderen Ende die poetische Sprache eines Gedichts. Je mehr Stilelemente des Gedichts in den Songtext einfließen, desto poetischer wird er. Klassische Stilelemente des Gedichts, die für Songtexte geeignet sind, wären beispielsweise die Metapher, die Versstruktur oder der Reim. Je weniger einfließt, desto eher bleibt der Text ein alltäglicher Gedankenstrom. Nun kann man nicht erwarten, dass jeder Songs wie Bob Dylan schreibt, aber eine gewisse poetische Überformung der Realität ist in meinen Augen schon notwendig, um als Songtext oder als künstlerisches Werk gelten zu können.

Der Einsatz eines Stilmittels kann dabei schon enorme Effekte erzielen: Wenn man einen Text in eine rhythmische Versstruktur bringt, d.h. wenn jede Zeile eine ähnliche Silbenanzahl aufweist und mit der gleichen Melodie gesungen wird, kann man auch einen inhaltlich sehr banalen Text haben, ohne dass es auffällt. Häufig funktionieren Pop- oder Schlagersongs so. In den Refrain wird dann noch eine einfach verständliche Metapher eingebaut und schon ist der Song fertig. Wenn man jedoch, wie Stella Sommer dies tut, Zeilen mit willkürlicher Silbenanzahl endlos wiederholt, kann dies entweder Dada oder schlechtes Songwriting sein. Der Refrain (also das Herzstück) Ihres Songs „The end“ lautet beispielsweise: „Wenn es soweit ist, werden wir es wissen / Es kommt immer anders als gedacht.“ Daran erkennt man auch die tiefste Stufe der Alltagssprachlichkeit: Die (unironische) Verwendung von Floskeln und Redewendungen.

Die meisten Künstler versuchen jedoch, Bilder zu finden, für das, was sie erzählen wollen. Es wäre auch ein sehr langweiliges Lied, wenn ein Künstler einfach nur sänge: „Ich bin verliebt in dich!“ Es wäre wie Musik in leichter Sprache. Oft finden die Künstler aber nur ein einziges Bild – das wird dann natürlich in den Refrain gepackt, da es sich dort wiederholt und man zeigen kann, wie kreativ man ist. Der Rest des Songtextes wird gefüllt mit schlecht verhüllter Alltagssprache á la „Ich lief durch den Park und sah eine Weide / ein Vogel saß auf einem Ast und ich dachte an dich“.

Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Künstler, deren Lieder nur vor Bildern strotzen. Wenn ein Künstler jedoch zu viele Bilder einsetzt, kann der Text auch schnell kryptisch und überladen werden. Es gibt daher wohl ein Gleichgewicht der Bilder in Songtexten: Wenn jede Zeile ein neues Bild enthält, überfordert dies meist die Hörer. Sinnvoll kann dies lediglich sein, wenn es sich bei den Bildern um die Variation eines Oberthemas handelt. Bei diesem sehr poetischen Song von Bonnie Prince Billie geht es beispielsweise um Verlust:

„I gave you a child, and you didn’t want it
Thats the most that I have to give.
I gave you a house, and you didn’t haunt it
Now where am I supposed to live
…“

Natürlich sollte sich die Sprache des Songtextes auch nicht zu weit vom Hörer entfernen. Songtexte, die einem Celan-Gedicht gleichen, werden vermutlich aufgrund ihrer geringen Zugänglichkeit nur von wenigen Hörern geschätzt. Erstaunlich ist es für mich aber, wie gering die Qualität vieler (besonders deutschsprachiger) Lieder geworden ist – wie sehr sie zum alltagssprachlichen Ende der beschriebenen Skala tendieren. Selbst in dem Stella-Sommer-Konzert saßen Fans, die ihre Lieder voller emotionaler Ergriffenheit mitsangen. Möglicherweise freuten sie sich gerade daran, dass da jemand etwas singt, was sie sehr gut verstehen können und was sie vielleicht auch einmal selbst gefühlt haben.

Auch die Künstler mit banalen Texten finden somit ihr passendes Publikum. Der Markt für alltagssprachliche Texte scheint groß zu sein. Leider. Dabei hätten gerade Songtexte das Potential, Menschen Poesie nahezubringen, die sonst damit nur wenig zu tun haben und glauben, sie nicht verstehen zu können.

Bild: Stella Sommer im Video „Light Winds“